Vor einigen Wochen hatte ich die Gelegenheit für ein Stadtteilmagazin Gernot Erler (MdB und ehemaliger Staatsminister im Auswärtigen Amt) zu interviewen:
Aus Anlass der Präsidentenwahl in Russland hat sich das Stadtteilmagazin (SM) mit dem Freiburger
SPD-Bundestagsabgeordneten und Außenpolitikexperten Gernot Erler (GE) unterhalten.
SM: Herr Erler, Sie sind diese Tage ein sehr gefragter Mann für Interviews zur russischen
Präsidentenwahl, da Sie fließend russisch sprechen und seit Jahrzehnten das Geschehen in Russland
verfolgen. Wie sind sie zum Russlandexperten geworden?
GE: Durch den Bau der Berliner Mauer, den ich hautnah miterleben musste, wollte ich wissen warum es
zu den Spannungen zwischen Ost und West kommt und die Kraft des Ostens war die
Sowjetunion. An der Uni Freiburg habe ich einige Jahre im Seminar für osteuropäische Geschichte gearbeitet und
Anfang der Siebziger Jahre hatte ich die Möglichkeit ihm Rahmen eines Austauschprogramms für
Wissenschaftler für ein halbes Jahr an der Moskauer Lomonossow-Universität zu forschen. Dort habe
ich mein Russisch ausbauen können und viele Einblicke in das gesellschaftliche und politische
Leben der damaligen Sowjetunion erlangt, die man nur vor Ort erhalten kann. Das Land hat mich zudem
kulturell fasziniert und seitdem bestehen viele Freundschaften nach Russland.
SM: Herr Putin ist wie erwartet wiedergewählt worden, dennoch gab es diesmal im Vorfeld Proteste
gegen ihn und seinen Regierungsstil. Warum?
GE: Die Personalrochade zwischen Medwedew und Putin hat, den Mittelstand, die einstigen Stammwähler
Putins, verärgert. Medwedew hat erkannt, dass Russland sich nicht auf Dauer nur aus den Einnahmen
der Rohstoffexporte finanzieren kann. Die russische Industrie muss technologisch wieder auf dem
Weltmarkt konkurrenzfähig sein, um dadurch Arbeitsplätze und Wohlstand zu schaffen. Putin hat im
Wahlkampf keine Konzepte in diese Richtung vorgelegt sondern sich auf Themen der Vergangenheit und
Populismus verlegt. Er hat in seiner ersten Amtszeit viel erreicht, dem Land wieder Selbstvertrauen
und eine zentrale Verwaltung zurückgegeben, doch der Mittelstand von heute blickt nach vorn, nicht
zurück und strebt nach Veränderungen.
SM: Hat Putin eine Chance in seiner neuen Amtszeit erfolgreich zu bestehen?
GE: Das hängt davon ab, ob er tatsächlich Reformen im Sinne von Medwedew durchführt und ob er gegen
die Korruption vorgeht. Die Menschen haben das Gefühl, dass man in Russland sein Geld derzeit nicht
legal verdienen kann. Vor allem die undurchsichtige Steuergesetzgebung hemmt die wirtschaftliche
Entwicklung.
SM: Die Demonstrationen im Wahlkampf liefen zum Glück friedlich ab. Ist das ein Zeichen des Wandels
der russischen Gesellschaft?
GE: Auf jeden Fall, denn zum ersten Mal hat eine breite Bevölkerungsschicht keine Angst mehr vor den
Regierenden. Man traut sich auf die Straße zu gehen und für Veränderungen zu kämpfen. Und was die
Demonstrationen jetzt schon an Freiheiten erzwungen haben, ist beachtlich. Putin täte gut daran,
diese Freiheiten nicht wieder zu beschneiden.
SM: Kennen Sie Putin eigentlich auch persönlich?
GE: Ja. Im Rahmen der Bewältigung des Tschetschenienkonflikts habe ich ihm einen Vorschlag gemacht,
den Konflikt zu entschärfen, indem man Jugendliche beruflich fördert um ihnen eine langfristige
Perspektive zu bieten. Dieser Vorschlag wurde auch erfolgreich in einem EU-Programm von der
Putin-Regierung umgesetzt.
SM: Für die Länder der arabischen Revolutionen würde sich dies doch auch anbieten.
GE: Nicht ganz, aber ähnlich. Zuerst einmal würde es den Menschen helfen, wenn Europa seine Märkte
auch für Produkte aus dem arabischen Raum vollständig öffnet. Dies würde der Wirtschaft einen Schub
geben, der auch langfristig zu mehr Beschäftigung führt und den jungen Leuten eine Perspektive gibt. Zudem
plädiere ich zusätzlich für eine Art Marshallplan. Da die Ausbildungskapazitäten in den Ländern
momentan nicht ausreichen, sollten in der EU Ausbildungsplätze zur Verfügung gestellt werden. Ich
setze mich zudem für zusätzliche personale Kontingente für saisonale Arbeit in der EU ein. Aktuell
hilft die EU bereits für ca. 120 Mio. € in Form von Beratungen den dortigen Regierungen. Dem stehe
ich aber kritisch gegenüber, da dies die Gefahr birgt, dass dies als Einmischung in innere
Angelegenheiten missverstanden wird.
SM: Eine letzte Frage: Was kann die Politik tun, um dem Morden in Syrien Einhalt zu gebieten?
GE: Ich sehe keine Alternative zu vermittelnden Gesprächen und einer politischen Lösung. Eine militärische Intervention, die nebenbei Präsident Assad aus dem Amt treibt wie in Libyen, wäre höchst riskant und scheidet aus meiner Sicht aus. Ich finde, jetzt muss alles getan werden, um die Mission des ehemaligen UNO-Generalsekretärs Kofi Annan zu unterstützen, um zunächst das Blutvergießen zu stoppen.
SM: Wir bedanken uns für das Gespräch.
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