Feb 5, 2017

Woher kommt die Unzufriedenheit?

Wenn man reist, stellt man schnell fest, wie gut es uns in Deutschland im Vergleich zu den meisten Menschen der Welt geht. Ja, wir sind uns dessen bewusst: Wir haben immer Trinkwasser, das noch dazu ganz bequem aus einem Wasserhahn kommt. Wir haben jederzeit Strom und Internet. Wir haben eines der besten Gesundheitssysteme der Welt, eines der dichtesten und besten Straßennetze. Es gibt ein hervorragendes Nahverkehrsangebot, Züge und Busse fahren nach Fahrplan in dichtem Takt. Unsere Schulen bieten freien Zugang für alle Kinder. Unsere Lehrer sind exzellent ausgebildet, unsere Berufsausbildung ist ein Vorbild für viele Länder. Im Ausland blicken Leute neidisch zu uns und Einige nehmen große Gefahren auf sich, um bei uns ein besseres Leben zu starten.

Dennoch sind wir nicht zufrieden. Man könnte daher meinen wir sind ein Volk von Pessimisten. Dies sind wir nicht. Fakt ist aber, dass sich viele abgehängt fühlen und frustriert sind. Warum? Stellen Sie sich vor Sie sind zu zweit. Die andere Person hat 1000 € die sie verteilen kann. Wenn Sie der Verteilung zustimmen, dürfen sie beide das Geld behalten, wenn Sie ablehnen, bekommt keiner auch nur einen Cent. Ihr Gegenüber könnte Ihnen also 10 € bieten und 990 € behalten wollen. Würden Sie zustimmen? Objektiv gesehen, ist das sinnvoll, denn 10 € ist besser als nichts. Dennoch würden Sie sicher empört ablehnen und lieber auf das Geld verzichten. Wir sind soziale Menschen und wollen wertgeschätzt werden. Passiert dies nicht, entsteht Frust. Schauen wir uns um, passiert genau das. Wir haben zwar eines der besten Gesundheitssysteme, aber nicht alle haben denselben Zugang dazu. Privatpatienten kommen z. B. schneller an Untersuchungen. Wir haben tolle ICE-Züge mit einer verlockenden 1. Klasse, aber nicht alle können sich den ICE leisten, geschweige denn die 1. Klasse. In den Reisebüros hängen Bilder von Traumzielen, die für viele nur ein Traum bleiben. Wir sehen also ständig Sachen, an denen wir nicht teilhaben können. Man fühlt sich abgehängt. Das ist verständlich, denn hätte im Experiment von eben Ihr Gegenüber nur 20 € zur Verfügung, wären Sie mit den 10 € sicherlich zufrieden. In beiden Fällen bekommen Sie 10 €, sind einmal aber unzufrieden, beim anderen Mal erfreut. Zufriedenheit hängt also offensichtlich davon ab, was in unserem Umfeld verfügbar ist und was wir davon nutzen können.

Auch wenn wir objektiv gesehen in einem reichen Land leben, ist dennoch ein Teil unserer Bevölkerung arm. Das kann man sich an einem Beispiel verdeutlichen: Moldawien gilt als Armenhaus Europas, denn 200 € im Monat ist ein normales Gehalt. Eine Fahrt im Stadtbus (ohne Monatskarte etc.) kostet aber auch nur ca. 12 Cent. In Freiburg sind es 2,30 €, also 19 Mal mehr. In Deutschland müsste man also 19 mal 200 = 3800 € monatlich verdienen, damit man auf demselben Niveau ist. Ein Museum in Moldawien kostet im Bereich 25 Cent Eintritt, bei uns im Bereich 5 €. Auch wenn ein Moldawier also rechnerisch viel ärmer ist, kann er dennoch am öffentlichen Leben teilhaben. Für die Beispiele gibt es sicher auch Gegenbeispiele und in Moldawien liegen viele Dinge im Argen, sie verdeutlichen aber, dass es immer der Vergleich mit der direkten Umgebung ist, der entscheidet. Kann man nicht teilhaben, ist man nicht zufrieden. Was nützt eine Autobahn, wenn man kein Geld für deren Maut hat? Gibt es im Land hingegen nur Schotterpisten ist man nicht so frustriert, auch wenn objektiv gesehen die Straßen schlechter sind, denn schließlich müssen alle mit ihnen auskommen. Anders ausgedrückt ist es eine Strafe vor einer Achterbahn zu stehen und Anderen beim Fahren zuzusehen, ohne selbst einmal fahren zu können.

Wir mögen erstaunt sein über die Wut im Internet, die vielen Protestwähler bei Wahlen und das mangelnde Vertrauen in die Politik, aber dies ist die logische Konsequenz mangelnder Teilhabe. Je ungleicher Werte verteilt sind, desto weniger kann man sie nutzen, desto mehr fühlt man sich frustriert. Die Frustrierten fragen sich zu Recht, warum sie etablierte Parteien wählen sollen, die Ungleichheit geschaffen oder nicht verhindert haben. Die Lösung liegt eigentlich auf der Hand:

Ehe man etwas Neues erschafft, muss man dafür sorgen, dass alle etwas vom Bestehenden haben. Wenn man etwas Neues erschafft, muss man sich vorher Gedanken machen, wie alle davon profitieren, ansonsten sollte man es lassen.

Übertragen wäre das: Ehe man neue Krankenhäuser baut, muss man sicherstellen, dass alle gleich behandelt werden, dass also alle in eine gesetzliche Krankenversicherung einzahlen, egal wie viel sie verdienen. Wenn es eine Erbschaftssteuer gibt, dann sollte sie so sein, dass jeder prozentual gleich viel zahlt, und keine Personen bevorzugt werden. Wenn man ein Schwimmbad baut, muss man ein Konzept haben, dass es auch von einkommensschwachen Personen genutzt werden kann. Wenn man neue Arbeitsplätze schaffen will, muss man sicherstellen, dass diese auch so fair bezahlt werden, dass man sich davon die Traumreise ersparen kann.
Die Protestwähler protestieren dagegen, dass das oft nicht der Fall ist. Es wird höchste Zeit für alle Parteien wieder Gleichheit und Teilhabe oberste Priorität des politischen Handelns einzuräumen.

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