Da ich etwas tiefer in die Materie eintauche, gibt es die Musik zum Artikel gleich zu Anfang: LTJ Bukem - Progression Session 4
Shechtman wird für seine Entdeckung der Quasikristalle geehrt. Dies sind keine Kristallle laut Definition, sondern eine bisher unbekannte Anordnung von Atomen in Materie. Ein Kristall besitzt eine periodische Struktur. Das bedeutet, dass sich ein Grundmuster immer wiederholt. Hier ist eine Übersicht über die Kristallsysteme. Allen Systemen liegt also eine Symmetrie zugrunde. Durch Rotation und Translation kommt man wieder zum Ausgangszustand zurück. So kann man ein Schachbrett um 180° drehen und es sieht wieder genau gleich aus. Macht man das zweimal, hat man wieder den Ausgangszustand. Neben solch einem "zweizähligem Gitter" gibt es Strukturen mit Rotationssymmetrien von 1, 3, und 6. Shechtman hatte nun aber (übrigens während eines Forschunssabbaticals) entdeckt, dass es Substanzen gibt, deren Röntgenbeugungsspektrum auf ein fünfzähliges (bzw. zehnzähliges) Gitter schließen lässt:
Beugungsspektrum eines ikosaedrischen Quasikristalls. |
So etwas kann es aber geometrisch nicht geben. Es ist nämlich unmöglich einen ebenen Boden mit Kacheln ohne Lücke zu belegen, so dass man bei Drehung um 72° wieder zu dem gleichen Muster kommt.
Das Schöne an der Wissenschaft ist nun aber, dass die Natur der Scharfrichter ist und nicht Regeln der Gesellschaft oder der Forschergemeinschaft. Er hatte den Effekt nun einmal beobachtet und konnte dies auch vor Kollegen wiederholen. Doch als er seine Beobachtungen veröffentlichen wollte, wurde er aus seiner Forschungsgruppe geworfen. Man hatte schlicht Angst, dass er mit seinen, der Lehrmeinung widersprechenden, Beobachtungen ein schlechtes Licht auf die Arbeitsgruppe wirft. Sein von ihm eingereichter Fachartikel wurde dann auch wegen angeblicher Irrelevanz für die Forschung abgelehnt, denn die Gutachter von Publikationen sind Forscherkollegen. In diesem Video beschreibt Shechtman sehr anschaulich seine Entdeckung und auch die Reaktionen der Kollegen.
Das Problem jedes Forschers ist es, sie auch zu finanzieren. Das bedeutet zum Einen, dass man möglichst viel veröffentlichen muss. Die Publikationsliste ist wichtig, wenn man einen Antrag auf finanzielle Förderung stellen will. Die Gutachter, die über den Antrag entscheiden sind ebenfalls Forscherkollegen und um diese zu überzeugen, sollten die eigenen Publikationen schon oft von anderen Kollegen in ihren Arbeiten referenziert worden sein. Man wird nach dem sogenannten Impakt-Faktor bewertet. Wird meine Publikation innerhalb der nächsten zwei, drei Jahre z.B. 4 mal referenziert, habe ich dafür den Faktor 4. Wenn mein Artikel erst nach einigen Jahren relevant wird, habe ich leider Pech gehabt. Dies führt uns zum zweiten Punkt: Man muss am Puls der Forschung arbeiten. Der Finanzier möchte sichergehen, dass die Forschung auch etwas einbringt. Beantragt nun eine Arbeitsgruppe Gelder, hat aber durch ein Mitglied wie Shechtman einen "zweifelhaften" Ruf bei den Kollegen, so sinken die Chancen, Gelder bewilligt zu bekommen, auch wenn es um andere Forschungsthemen geht. Denn als Gutachter und Forscher kann man sich schlecht von seiner Subjektivität befreien. Zudem sind die Fördersummen vorher festgelegt, und so wird man als Gutachter einen Weg suchen, den Antrag des Kollegen abzulehnen, denn dann bleibt mehr für den eigenen Antrag übrig. Dieser eigene Antrag muss allerdings auch wieder von den Kollegen genehmigt werden. Deswegen sind wissenschaftliche Konferenzen auch immer dazu da, Netzwerke aufzubauen, die nach dem Prinzip arbeiten: "Schreibst du ein positives Gutachten, schreibe ich dir auch ein positives und außerdem referenziere ich deine letzten Artikel in meinen Arbeiten." Daher kommt es nicht selten vor, dass ein Antrag eigentlich schon genehmigt ist, bevor man angefangen hat ihn zu schreiben. Um sich in die Denkweise bei der Antragsbegutachtung hineinzuversetzen, sollte man diesen Artikel lesen. Dieser ist zwar satirisch überspitzt, macht aber die Grundproblematik klar.
Kommen wir zurück zu den Quasikristallen und Shechtman. Er hatte das Glück trotzdem eine neue Anstellung zu finden, was vielen leider nicht vergönnt ist. Nach zwei Jahren und mit der Hilfe von Kollegen gelang es, ein physikalisches Modell aufzustellen, warum die Beugungsspektren so aussehen. Dabei wurde eine mathematische "Spielerei" von Roger Penrose aktuell. Er hatte bewiesen, dass man mit nur zwei verschiedenen Kacheln einen Boden lückenlos belegen kann, so dass keine Symmetrie auftritt, die Kacheln doch aber quasi Symmetrisch liegen. Dies ist das sogenannte Penrose-Parkett:
Penrose-Parkett. Gelb hervorgehoben ist ein Muster dass sich wiederholt, aber eben nicht exakt periodisch. |
Aus dem Fall Shechtman lernt man, dass man kämpfen muss und dass es immer wieder ähnliche Fälle geben wird, bei denen Forscher erst spät die ihnen gebührende Anerkennung bekommen. Die Quasikristalle sind ein schönes Beispiel dafür, dass man Forschung nicht planen kann und ebenso wenig die Auswirkungen einer Entdeckung. Aus einer mathematischen Überlegung heraus, ließ sich erst Jahre später eine Anwendung in der Natur finden. Und wiederum erst einige Jahre später stellte dich das ganze Potential der Quasikristalle heraus, da sie eine sehr geringe elektrische und thermische Leitfähigkeit besitzen.
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