May 27, 2012

Laut & Lyrik

Neulich ließ ich mir in einer WG einen Kaffee munden, als sich der Gastgeber plötzlich zu einer Veranstaltung verabschiedete und meinte, dass mir die gefallen könnte. Nun ist mein größtes Hobby neue Dinge auszuprobieren und schon war ich bei Laut & Lyrik - einem Sprechtheater.
Dieses Sprechtheater funktioniert wie der Club der toten Dichter, nur öffentlich und hervorragend durchdacht. Aktuelle und ehemalige Studenten der Uni wählen lyrische, deutsche Stücke der Zeit nach 1945 aus und bringen sie auf die Bühne.
Die Vorstellung fand im alten Kinosaal der französischen Streitkräfte statt (das Rektorat der Uni sitzt im alten Hauptquartier der Franzosen), der eine hervorragende Akustik hat. Dadurch sind nette Spielereien möglich. So stehen zu Anfang die insgesamt 14 Sprecher links und rechts neben den Zuschauern in den Seitengängen. Verschiedene Verse werden dann von einer oder mehreren Personen eines Ganges gesprochen, später dann von beiden Gängen gleichzeitig, so dass aber die Männer- und Frauenstimmen von verschiedenen Seiten kommen, was einen  tollen Stereo-Klang ergibt.
Das Bühnenbild. Wie man sieht musste auch mal eine Hose dran glauben.
Auf der Bühne gab es für jeden Sprecher einen mit Wasser gefüllten Bottich, in dem je ein halbe Kürbisschale schwamm. Die Schale bildet eine Halbkugel unter der sich Luft befindet, die durch das Wasser nicht entweichen kann. Schlägt man auf den Kürbis lassen sich fantastische Bässe entlocken, die im ganzen Saal nach hallen. Mit Hilfe der Bottiche, eines Saxophons und einer Gitarre wurden eine Stücke musikalisch untermalt. Ansonsten gab hauptsächlich die Choreographie der Lyrik Ausdruck.
Das Programm.
Los ging es etwas schwer verdaulich mit Nachkriegsliteratur ehe es mit dem Stück von Thomas Brussig in Gefilde ging in die man sich als jüngerer Zuhörer besser hinein versetzen kann. Ich war überrascht über die Vielfalt an Stücken und auch, dass ich von Biermann noch nie eins gelesen oder gehört habe. Dabei sind einige seiner Sachen wie Der Aufsteigende auch heute noch brandaktuell. Sehr unterhaltsam waren die Stücke von Jandl, dessen "Sprechgedichte" mich zu Schulzeiten gehörig nervten, die vorgetragen aber lustig und manchmal auch nachdenklich sind.
Gut dass Lyrik jedweder Art gefrönt wurde, so dass auch Costa Cordalis zu Wort kam - es ist schon surreal wenn ein Schlagerschnulzen-Gassenhauer ernst vorgetragen wird. "Ich will keine Schokolade" wurde dagegen mit beeindruckendem Ausdruckstanz gesungen. Abgerundet wurde die Mischung der Stücke mit aktuellen Sachen wie "Frauen sind wie Kartoffelsalat" und dessen Gegenpart "Weinende Männer".
Insgesamt eine tolle Veranstaltung!
Die Gruppe gibt es seit über zehn Jahren und fürs nächste Jahr ist zum ersten Mal ein Auftritt außerhalb Freiburgs angedacht - in Berlin, dann aber mit neuen Stücken.

Dazu passt verständlicherweise keine Musik, aber ich kann etwas Lyrik beisteuern:

May 22, 2012

Die Geschichte der Schulden

Endlich ist das Buch Schulden: Die ersten 5000 Jahre auch auf Deutsch erschienen, denn nach dem Lesen dieses Buches wird man die Welt von einem anderen Winkel aus betrachten.
David Graeber hat darin nicht einfach Schulden hinterfragt, sondern deren Geschichte beleuchtet. Seit wann gibt es Schulden?, wie entstehen sie? und vor allem muss man Schulden auf jeden Fall zurückzahlen? Das Buch gibt auf letztere Frage eigentlich nicht direkt die Antwort, aber wenn man beim Lesen darüber nachdenkt, merkt man, dass die Antwort Nein sein muss. Anhand eines Beispiels zeigt Gräber, dass das Rückzahlen einer Schuld sogar vielen Leuten schaden kann. Das Problem ist das Grundprinzip unseres Finanzsystem, in dem es vollkommen normal ist, mit Schulden zu handeln, also auch mit nicht realen Werten. So gibt es Schulden, die eigentlich absurd aber doch real sind. Ich war schockiert zu lesen wie Haïti oder auch Madagaskar zu ihren ersten Schulden gekommen sind - indem Frankreich gesagt hat "Ihr schuldet mir etwas, da ich euch besetzt habe und daher Kosten für meine Armee habe." Der Irrsinn ist, dass diese Schulden noch heute nach unseren Vorstellungen trotzdem zurückzuzahlen sind. Dabei drängt sich dann die zweite essentielle Frage auf, ob es sinnvoll ist Schulden zu vererben, so dass die meisten aller Menschen bereits als Schuldner geboren werden und es bis ans Ende ihres Lebens bleiben.

Ich habe das Buch auf Englisch gelesen, muss davon aber abraten. Es werden einfach zu viele Fachwörter verwendet und auch mit guten Englischkenntnissen nervt das Nachschlagen im Wörterbuch doch auf Dauer. Das Buch selbst liest sich zu Anfang sehr spannend, baut im länglichen Kapitel über den Tauschhandel jedoch in meinen Augen ab. Man kann das Kapitel aber auch einfach weglassen, denn es ist nicht notwendig um Buch zu verstehen und die anderen Kapitel nehmen dann wieder Fahrt auf. Leider driftet Graeber ab und an in eine akademische Schreibweise ab, die trocken wie die Sahelzone ist. Aber diese Passagen kann man einfach überfliegen und sie sind nicht zahlreich.

Graeber ist auch im Zusammenhang mit der Occupy-Bewegung aufgefallen. Ich habe zwar bis heute nicht verstanden, was diese Bewegung genau will, aber sein Buches hat mich überzeugt, dass unser globales Finanzsystem, so wie es ist, nicht bleiben kann.

Für den audiovisuellen Leser dieses Blogs, gibt es hier noch eine kurze Videorezension der ARD.

Dazu passt Fader Gladiator - Das Gift. mit dem treffenden Text:

"Die schönsten Dinge, die unsere Welt bereichern,
lassen sich leider nicht in Form von Geldwert speichern.
Ich seh' reichlich geistige Leichen die Segel streichen,
egal wie hart der Standpunkt auch sei, mit Geld kann man ihn erweichen.
Sprich, wenn man sich dem teuflischen Kreislauf nicht verweigert,
dann erscheint er persönlich und dein Sein wird versteigert.
Das Leben und die Seele kommen unter den Hammer,
wir verkümmern in den Kammern und umklammern den Mammon.
Dieses grässliche Gift wird auf der Bank gedealt,
egal wie legal, es ist ein krankes Spiel,
denn die Verlierer kriechen blitzeblank ins Ziel,
die Gewinner riechen nach dekadentem Lebensstil.
Während der Masse nichts anderes übrig bleibt als lebenslang zu schuften,
schaffen manche den Ausstieg, packen die Sachen und verduften,
und tut es mal weh, dann gibt es Schmerzensgeld,
doch es kann nicht ersetzen was man im Herzen hält!"

Der Tatortreiniger ist zurück

Ich hatte im März im Zuge der Grimmepreisvergabe schon vom Tatortreiniger berichtet. Aufgrund des Preises laufen nun die 4 Folgen wieder; hier die erste. Die nächsten Wochen dürften die anderen Folgen folgen.
In Folge 3 gibt es tolle Tipps wie man welche Flecken entfernt (ich sage nur Eiweißfehler), Folge 4 ist einfach großartig.


May 15, 2012

Mal ein Film von/mit/über Siebenbürgen

Einfach mal ein schöner Fernsehfilm: Das Geheimnis in Siebenbürgen
(leider wird er in 6 Tagen wieder depubliziert)
Musikalisch passt dazu: Shantel - Bucovina
Abendsonne am Fuße des Zibingebirges

Ich war nur einige Tage in Siebenbürgen und doch hatte ich beim ansehen viele Déjà-vus: Feste mit den Siebenbürger Sachsen, die Wehrkirchen, die wunderschöne Landschaft, die Langsamkeit und die angenehm schrullige Art der Leute mit ihrer auch heute noch ausgeprägten Angst gegenüber der Polizei, die Korruption und der Tiefe Graben zwischen den Siebenbürger Sachsen und den Rumänen.
Ich bin sogar auch in einen Umtrunk mit alten Frauen geraten und konnte mich nicht dagegen wehren ;-). Sie haben mich mit einem Redeschwall überflutet, sich selbst nur unterbrochen wenn es Schnaps gab und ich habe doch nicht ein Wort verstehen können; aber dafür habe ich fleißig mit getrunken und ihr Schnaps war einer der besten, der jemals meinen Gaumen hinunterperlte. Hmm, ich könnte ja mal ein paar Fotos davon hier zeigen - mal sehen.

Apr 15, 2012

Warum klingt dein Radio wie eine Liveschaltung zum Supermarkt?

Weil du Captain Metal noch nicht gerufen hast. Der bringt dir das großartigste Gitarrensolo seit langem, also zögere nicht!

Apr 7, 2012

The Lazy Sunday Selecta

Da wacht man Sonntags recht spät auf, die Sonne lacht, aber die Frühjahrsmüdigkeit lässt einen nicht so richtig in Schwung kommen. Also faulenzt man sich in einen bequemen Liegestuhl auf der Terrasse, wirft den passenden Soundtrack ein und döst in der Sonne geschmeidig vor sich hin mit dem
The Lazy Sunday Selecta 
Mix von Breakbot.

Interview mit Gernot Erler

Vor einigen Wochen hatte ich die Gelegenheit für ein Stadtteilmagazin Gernot Erler (MdB und ehemaliger Staatsminister im Auswärtigen Amt) zu interviewen:

Aus Anlass der Präsidentenwahl in Russland hat sich das Stadtteilmagazin (SM) mit dem Freiburger
SPD-Bundestagsabgeordneten und Außenpolitikexperten Gernot Erler (GE) unterhalten.

SM: Herr Erler, Sie sind diese Tage ein sehr gefragter Mann für Interviews zur russischen
Präsidentenwahl, da Sie fließend russisch sprechen und seit Jahrzehnten das Geschehen in Russland
verfolgen. Wie sind sie zum Russlandexperten geworden?

GE: Durch den Bau der Berliner Mauer, den ich hautnah miterleben musste, wollte ich wissen warum es
zu den Spannungen zwischen Ost und West kommt und die Kraft des Ostens war die
Sowjetunion. An der Uni Freiburg habe ich einige Jahre im Seminar für osteuropäische Geschichte gearbeitet und Anfang der Siebziger Jahre hatte ich die Möglichkeit ihm Rahmen eines Austauschprogramms für
Wissenschaftler für ein halbes Jahr an der Moskauer Lomonossow-Universität zu forschen. Dort habe
ich mein Russisch ausbauen können und viele Einblicke in das gesellschaftliche und politische
Leben der damaligen Sowjetunion erlangt, die man nur vor Ort erhalten kann. Das Land hat mich zudem
kulturell fasziniert und seitdem bestehen viele Freundschaften nach Russland.

SM: Herr Putin ist wie erwartet wiedergewählt worden, dennoch gab es diesmal im Vorfeld Proteste
gegen ihn und seinen Regierungsstil. Warum?

GE: Die Personalrochade zwischen Medwedew und Putin hat, den Mittelstand, die einstigen Stammwähler
Putins, verärgert. Medwedew hat erkannt, dass Russland sich nicht auf Dauer nur aus den Einnahmen
der Rohstoffexporte finanzieren kann. Die russische Industrie muss technologisch wieder auf dem
Weltmarkt konkurrenzfähig sein, um dadurch Arbeitsplätze und Wohlstand zu schaffen. Putin hat im
Wahlkampf keine Konzepte in diese Richtung vorgelegt sondern sich auf Themen der Vergangenheit und
Populismus verlegt. Er hat in seiner ersten Amtszeit viel erreicht, dem Land wieder Selbstvertrauen
und eine zentrale Verwaltung zurückgegeben, doch der Mittelstand von heute blickt nach vorn, nicht
zurück und strebt nach Veränderungen.

SM: Hat Putin eine Chance in seiner neuen Amtszeit erfolgreich zu bestehen?

GE: Das hängt davon ab, ob er tatsächlich Reformen im Sinne von Medwedew durchführt und ob er gegen
die Korruption vorgeht. Die Menschen haben das Gefühl, dass man in Russland sein Geld derzeit nicht
legal verdienen kann. Vor allem die undurchsichtige Steuergesetzgebung hemmt die wirtschaftliche
Entwicklung.

SM: Die Demonstrationen im Wahlkampf liefen zum Glück friedlich ab. Ist das ein Zeichen des Wandels
der russischen Gesellschaft?

GE: Auf jeden Fall, denn zum ersten Mal hat eine breite Bevölkerungsschicht keine Angst mehr vor den
Regierenden. Man traut sich auf die Straße zu gehen und für Veränderungen zu kämpfen. Und was die
Demonstrationen jetzt schon an Freiheiten erzwungen haben, ist beachtlich. Putin täte gut daran,
diese Freiheiten nicht wieder zu beschneiden.

SM: Kennen Sie Putin eigentlich auch persönlich?

GE: Ja. Im Rahmen der Bewältigung des Tschetschenienkonflikts habe ich ihm einen Vorschlag gemacht,
den Konflikt zu entschärfen, indem man Jugendliche beruflich fördert um ihnen eine langfristige
Perspektive zu bieten. Dieser Vorschlag wurde auch erfolgreich in einem EU-Programm von der
Putin-Regierung umgesetzt.

SM: Für die Länder der arabischen Revolutionen würde sich dies doch auch anbieten.

GE: Nicht ganz, aber ähnlich. Zuerst einmal würde es den Menschen helfen, wenn Europa seine Märkte
auch für Produkte aus dem arabischen Raum vollständig öffnet. Dies würde der Wirtschaft einen Schub
geben, der auch langfristig zu mehr Beschäftigung führt und den jungen Leuten eine Perspektive gibt. Zudem
plädiere ich zusätzlich für eine Art Marshallplan. Da die Ausbildungskapazitäten in den Ländern
momentan nicht ausreichen, sollten in der EU Ausbildungsplätze zur Verfügung gestellt werden. Ich
setze mich zudem für zusätzliche personale Kontingente für saisonale Arbeit in der EU ein. Aktuell
hilft die EU bereits für ca. 120 Mio. € in Form von Beratungen den dortigen Regierungen. Dem stehe
ich aber kritisch gegenüber, da dies die Gefahr birgt, dass dies als Einmischung in innere
Angelegenheiten missverstanden wird.

SM: Eine letzte Frage: Was kann die Politik tun, um dem Morden in Syrien Einhalt zu gebieten?

GE: Ich sehe keine Alternative zu vermittelnden Gesprächen und einer politischen Lösung. Eine militärische Intervention, die nebenbei Präsident Assad aus dem Amt treibt wie in Libyen, wäre höchst riskant und scheidet aus meiner Sicht aus. Ich finde, jetzt muss alles getan werden, um die Mission des ehemaligen UNO-Generalsekretärs Kofi Annan zu unterstützen, um zunächst das Blutvergießen zu stoppen.

SM: Wir bedanken uns für das Gespräch.