Feb 20, 2011

Der Sommer ist zurück

He ho, ich bin wieder in Santiago und es fühlt sich an wie wieder zu Hause zu sein, so wie Thievery Corporation - Resolution. Daher habe ich nun auch wieder Bandbreite und es wird mehrere Blogeinträge mit Bildern der vergangenen drei Wochen geben.
Nach dem letzten Blogeintrag war ich auf der Insel Chiloé in der Stadt Ancud. Es ist ganz nett da, allerdings war das Wetter bescheiden. Es hat nicht viel geregnet, aber der Wind presst die Nässe durch alle Poren. Jetzt weiß ich auch wie bei den Regenjacken die Angaben zur Wasserdichtigkeit von einigen Metern Wassersäule zustande kommen: Meine GoreTex Jacke hält "nur" bis zu 15000 mm Wassersäule dicht und das hat bei dem Wind nicht ausgereicht! Mein Skianorak hält 30000 mm Wassersäule aus, aber ein Anorak im Sommer auf Meereshöhe ergibt keinen Sinn. Na jedenfalls, falls ihr mal nach Patagonien wollt, dann achtet auf die Regenbekleidung.
Chiloé an sich würde ich mit Irland oder Schottland vergleichen (auch wenn ich da noch nicht war), denn es von der Landschaft erinnert es mich am meisten an Fotos davon.
Tags darauf war auch in Puerto Montt schlechtes Wetter bei Temperaturen von nur noch 13 °C (zwei Tage zuvor waren es noch 25 °C), so dass ich froh war wieder in den Norden zu fahren. Wie schon gesagt, hat mir Puerto Montt von allen Städten am besten gefallen, denn es gibt eine schöne Einkaufsmeile, Fußgängerzonen, Aussichtspunkte, Straßencafés und "echte" Restaurants (kein Fast-Food). Man gibt sich auch Mühe durch neue Parks und Straßen den Einwohnern Flair zu bieten. Mit all den Hafenspelunken und dunklen Gestalten Nachts hat es mich an Bremerhaven erinnert. Die Stimmung dazu beschreibt Element of Crime - Delmenhorst hervorragend (über Bremerhaven gibt es keine schönen Lieder).
Mit dem Nachtbus, in dem man übrigens hervorragend schlafen konnte, ging es nach Concepción. Diese Stadt lohnt leider überhaupt nicht. Obwohl sie z.B. an einem großen Fluss liegt und von grünen Hügeln umgeben ist, gibt es keine Uferpromenade und es gibt auch keine Aussichtspunkte. Was man aber noch sieht, sind die beeindruckenden Schäden, die das Erdbeben letztes Jahr hinterlassen hat, siehe die Bilder. Mich hat aber eigentlich die Industrieregion gereizt und so bin ich nach Lota gefahren. In dieser Stadt wurde bis vor 15 Jahren Kohle unter dem Meer abgebaut. Nun stirbt die Stadt leider langsam. Zum Besucherbergwerk muss man durch Slums gehen, die aus irgendwelchen Blechen und Hölzern zusammengeschustert sind. So etwas gibt es sonst in Chile wohl nicht. In dieser Stadt hatte ich zum ersten Mal Angst als ich durch die Gassen gelaufen bin. Der Wächter im Stadtpark (siehe unten) meinte, dass die Mehrheit der Bewohner von einer staatlichen Rente lebt, die Jugend hält sich mit Kriminalität über Wasser oder versucht wegzugehen. Zu allem Leid wurde Lota auch noch vom Tsunami nach dem großen Erdbeben getroffen. Das Stadttheater ist halb verfallen. Da ich neugierig war und das Gebäude betrat, wollte man mir das Theater eigentlich komplett zeigen, aber ein Kurzschluss hatte alles lahmgelegt. Trotzdem musste ich mich als "Besucher" registrieren lassen, da der Staat gnadenlos alles schließt, in das nicht genügend Leute kommen. Ich als Ausländer zähle da wohl besonders viel für die Statistik. (Übrigens muss man dafür immer die Personalausweisnummer angeben. Dies muss man eigentlich auch sonst immer tun, bei Busreisen, bei der Gepäckaufbewahrung im Bahnhof, Besuch von Parks, Schwimmbädern, Museen usw. Soviel zum Überwachungsstaat.) Zur Perspektive der Jugendlichen in der Stadt kommt mir Ferris MC - Asimetrie in den Sinn.
Das Bergwerk ist klein aber die Geschichte ist beeindruckend: Man muss durch engste Gänge kriechen, in denen die Leute 14 Stunden-Schichten geschoben haben. Die Kinder mussten auch 14 Stunden 8 Tage am Stück arbeiten, ehe es einen Tag frei gab. Die Nahrung war nur Brot mit Zuckerwasser und es gab für die Kinder keinen Lohn! Wenn Gasalarm war (dazu wurde geschaut ob mitgebrachte Kanarienvögel starben), wurden die Erwachsenen nach oben geschickt, die Kinder aber nach unten, denn sie waren ja kein Verlust und könnten vielleicht noch einigen Erwachsenen Bescheid geben. Ein Bergmann hatte erst nach 9 Jahren im Berg gewisse Rechte, vorher gar keine. Die Bergwerksbesitzer der Familie Cousiño-Goyenechea waren durch solche Methoden zu den 10 reichsten Familien weltweit ihrer Zeit aufgestiegen. Wie zum Hohn, hat Isidora Goyenechea (dieselbe, die den schönen Palast in Santiago hat erbauen lassen, siehe meinen Eintrag vom 19. Januar) mitten in den Minen einen wunderschönen Park errichten lassen. Die Skulpturen des Parks und das Holz für die Pavillons wurden extra aus Europa eingeschifft. Da zeigt sich zu was Menschen fähig sind, wenn sich der Staat aus allem raushält. Dazu passt eines anklagenden Lieder von Victor Jara - Casitas del barrio alto (der übrigens beim Pinochet-Putsch erschossen wurde).
Die Führung war übrigens, wie eigentlich fast alle Touren, nur auf Spanisch und da ich Deutscher bin (wieder mal der einzige ausländische Tourist), gab es für mich extra Infos. Z.B. sind die Stirnlampen, deren Batterien, die Telefonanlage und die Presslufthämmer aus Deutschland. Die Telefonanlage stammt von Siemens aus den 30iger Jahren und wird heute noch benutzt. Der Führer war daher auch hellauf von deutscher Wertarbeit begeistert.
Mein erster echter Blick auf den Pazifik (in Puerto Montt ist es ja "nur" eine Bucht).
Concepción. Dieses Haus ist ein Totalschaden, man kann es aber nicht einfach abreißen. Die Statik ist so gestört, dass Sprengung ein Lotteriespiel wäre und das Haus steht mitten in der Innenstadt. Mit Baggern von oben abreißen geht auch nicht so ohne weiteres, da man nicht weiß, welche Gebäudeteile man zuerst wegnehmen muss, ohne dass gleich allen einstürzt. Also baut man temporäre Stützen ein; das sind die schwarzen Streben links an der Fensterfront.
Dazu passt The Style Council - Walls come tumbling down (der Sarkasmus sei mir verziehen und der Text ist eigentlich immer aktuell).
Dieses Haus ist das einzige was direkt umgefallen ist. Man beseitigt es nicht, da es Rechtsstreitigkeiten gibt, wer denn nun Schuld am Einsturz ist. Dazu wollen die Wohnungsbesitzer des Hauses ihr Geld wieder haben. Das Nachbarhaus ist ebenfalls schwer beschädigt und dessen Eigentümer klagt nun auch.

So stellt man sich hier wohl den typischen Deutschen vor ;-).
Im Motorenladen gibt es halt Motoren.


Typische Häuser in Lota. Zur Lota-Bilderserie passt Cosmic Baby - Heaven's Tears.
Das Theater.

Da ich Ingenieur bin, hat man mir eine weißen Helm aufgesetzt. Blau bedeutet Elektriker, grau Bergmann, rot Chef/Vorarbeiter, gelb Anfänger/Neuling.

Man sieht, hier geht es nur im Gänsemarsch voran. Die zwei-Finger-Geste des Kollegen hinten machen hier fast alle auf Fotos und es heißt wohl so etwas wie cool, Freundschaft, alles Roger.
Der Park in Lota.

Diesen Pavillon im Park hat das Erdbeben auch schwer erwischt. Teile des Parks sind sogar ins Meer gestürzt.
Nördlich vom Park.
Südlich vom Park. Der Park ist schon durch seine Lage ein Unikum.
Wie zum Hohn steht am Parkeingang dieses Denkmal - Herr mit Arbeitssklave. Man hat aber wohl deswegen den Namen am Denkmal entfernt.

Diese Einheitshäuser baut der Staat als sozialen Wohnungsbau und für die Tsunami-Geschädigten.

1 comment:

  1. Das mit der Personalausweisnummer fand ich eigentlich immer ganz gut, dann wissen die deutschen Botschafter gleich wo sie suchen müssen. Und so eine Leichenidentifikation nach weiß ich was für Unglücken ist schon schrecklich.

    Interessant wozu Kanarienvögel so gut sein können.

    geil auch an dem total-geschädigten Haus "venta oficinas" - was so ein Büro da wohl kosten mag? Wahrscheinlich ist das Plakat auch irgendwie wichtig für die Statik :D

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