Feb 28, 2011

Vorwärt immer, rückwärts nimmer

So, auf gehts zu neuen Taten: Morgen geht es nach Mendoza nach Argentinien und dann nach La Paz nach Bolivien. Ich hänge also insgesamt noch einen Monat dran. Am Donnerstag werde ich zudem zum ersten Mal eine deutsche Botschaft betreten, um per Briefwahl für dem Baden-Württembergischen Landtag abzustimmen. Bin mal gespannt wie das wird, zumal man sich dafür extra schick anziehen muss.

Da die Chilenen bei der Wiedereinreise von Bolivien (aus gutem Grund) auf eine gültige Gelbfieberimpfung bestehen, die aber 10 Tage braucht, bis sie wirkt, hatte ich hier in Santiago ein bisschen Zeit in der ich mal fest nichts gemacht habe. Das hat sich das erste mal seit ich in Chile bin, so richtig wie Urlaub angefühlt: Kein Rumgerenne nach dem nächsten Bus und Hotel, keine Termine für Ausflüge, usw.. So habe ich jeden Tag 10 Stunden geschlafen, mir dann auf dem Stadtplan einen grünen Fleck ausgesucht und bin dann hingefahren. Es hat sich immer gelohnt - die Stadt hat so viele schöne Parks und interessante Gegenden, siehe die Bilder. So gibt es z.B. mitten in der Stadt einen permanenten Vergnügungspark mit vielen Achterbahnen namens Phantasialandia. In der selben Gegend gibt es einen See, auf dem man Gondeln kann, der von einem tibetischen Garten umgeben ist.
Durch Zufall war ich im Museum, in dem seit einem Jahr zum ersten Mal die Pinochet-Diktatur aufgearbeitet wird. Es ist sehr Interessent gestaltet und zudem noch kostenlos. Bei der Filmreportage über die Abstimmung 1988, mit der die Chilenen Pinochet entmachtet haben, musste ich bei den Freudenbildern immer an Deutschland 1989 denken. Einen Tag später war ich in einem der örtlichen KZs von Pinochet in der Villa Grimaldi. Die Villa hat das Regime 1990 in einer Nacht- und Nebelaktion abreißen lassen, so dass nur noch der Park existiert, der wie das Paradies auf Erden wirkt: Riesige uralte Bäume, ein süßlicher Rosenduft liegt in der Luft, Vögel zwitschern, ein herrlicher gestalteter Park. Und mitten in dem Park hatten die Leute der Geheimpolizei DINA Baracken aufgebaut und ca. 300 Menschen zu Tode gefoltert. Wenn man sich überlegt, dass die Gefangenen immer verbundene Augen hatten und nur den Duft von 5000! Rosen in der Nase hatten während die Schreie der Gefolterten durch die Baracke hallten, wird einem sehr mulmig. In der Villa, die mal eine Ausflugsgaststätte der oberen Zehntausend war, haben die Wachleute mit ihren Familien rauschende Partys am Swimmingpool gefeiert. "Entsorgt" wurden die Toten (zuerst waren das Studenten, dann junge Arbeiter, dann Parteigranden) übrigens per Hubschrauber. Sie wurden an Eisenbahnschwellen gebunden und über dem offenen Meer ins Wasser geworfen. Mich hat es sehr mitgenommen, dass ich der einzige! Besucher an diesem Nachmittag war. Es scheinen sich nicht viele Leute dafür zu interessieren.
Die Woche habe ich dann auch noch eine exklusive Führung durch den Stadtteil Maipú bekommen. Ein Teil der Einwohner dort sind bitterarm und leben im Schnitt zu siebent in zwei Zimmern. Einige leben auch in Wellblechhäusern. Es ist dort zudem sehr gefährlich. Die Leute haben (kaum) keine Schulbildung und sind sehr aggressiv. So hat man mich auf dem Weg zum Rathaus auch versucht zu berauben. Viele Väter sind im Gefängnis wegen Drogenvergehen. Zu allem Übel haben die im Schnitt 6 Kinder, die sich im Schnitt mit 17 Jahren wieder anfangen zu vermehren, deren Kinder wieder nicht auf eine Schule gehen werden und sich aber neue Wellblechhäuser bauen werden und ernährt werden müssen. Aber das ist jetzt ein anderes Thema.

Gestern war ich in Sewell, einer weitgehend verlassenen Stadt mitten im Nichts im Hochgebirge. Sie wurde für die Arbeiter der Kupfermine El Teniente gebaut und war die fortschrittlichste Stadt Südamerikas: Man bekam sehr hohe Löhne, den Kindern wurde die Schule und die Uni bezahlt, die Wohnungen und das Krankenhaus  waren umsonst, es gab kostenlose Tennis- Golf, und Sportplätze aller Art, Bowlingbahnen, usw.. Das Krankenhaus hatte die neuesten medizinischen Errungenschaften immer als Erstes auf dem Kontinent, so dass sogar Leute aus Santiago und anderen Ländern hier hoch kamen, um sich behandeln zu lassen.
Noch interessanter war aber der Besuch in der Mine. Sie ist voll in Betrieb und zudem die größte unterirdische der Welt mit einer Gesamtlänge an Schächten von 2400 km! Man kann daher die abenteuerliche Straße dahin (und damit auch nach Sewell) nur mit einer Tour am Wochenende befahren. Die Mine ist unglaublich beeindruckend mit all den riesigen Anlagen ringsherum: Grubenbahnen, Schmelzöfen, Absetzbecken, Leitungen und Viadukten. Dazu kommt noch die einzigartige Hochgebirgslandschaft. Z.B. geht es an einer Stelle direkt an der Straße 600 Meter senkrecht runter. Im Bergwerk selber sind wir einige Kilometer mit dem Bus reingefahren und haben ca. 100 Höhenmeter durch Kehrtunnel nach oben zurückgelegt. Man hat uns dann einen Brecher in Betrieb gezeigt, der das gesprengte Material zerkleinert - ein Höllenlärm, trotz Ohrstöpsel. Außerdem gab es meterlange Gipskristalle zu sehen. Gegessen haben wir im Bergwerk zusammen mit den Kumpels. Ich war überrascht wie klein die Portionen waren, aber seit 2001 ist fast alles automatisiert und die Arbeit körperlich nicht mehr so schwer.

Übrigens kann man sich in Chile nicht einfach so eine Impfung verpassen lassen, sondern man muss vorher zu einem kostenlosen, ärztlichen Beratungsgespräch. Das ist eine weise Regelung, denn Impfen allein reicht nicht. So hat man mir erklärt, dass ich meine Sachen vorher gegen Mückenlarven imprägnieren muss (Einsprayen und über Nacht in einem Plastiksack liegen lassen) und man eine spezielle Creme braucht, die man zwei- bis dreimal täglich auftragen muss. Zudem werde ich wohl mit Sicherheit die ersten 3 Tage Höhenkrankheit (da ich mit dem Flugzeug direkt auf 4100 Meter fliege) und Durchfall haben (Montezumas Rache). Bolivien hat fast alle Übel der Menschheit: Typhus (habe ich mich auch gegen impfen lassen), Malaria, Leishmaniose, hämorrhagisches Fieber, Dengue, Gelbfieber und Infektionen durch Amöben und andere unzählige Bakterienarten im Trinkwasser. Ich werde daher nur im Altiplano auf über 3000 Metern Höhe unterwegs sein, wo nur Typhus und Lebensmittelinfektionen immer auftauchen können. Ich war nach der Beratung ziemlich eingeschüchtert, aber der Arzt meinte, das Bolivien wunderschön ist, und ich unbedingt dahin sollte. Er fragte: "Was ist die schlimmste Seuche der Menschheit?" und antwortete "Ignoranz!" Hat er irgendwie recht und es wird schon klappen.
Krankenhausgang im Hospital San Salvador in Santiago. Im Sommer echt eine geniale Lösung, im Winter (min. 8 °C) stelle ich mir das als Patient nicht so angenehm vor.
Blick in die Frauenklinik in San Salvador. Dieses Krankenhaus ist sehr alt, die unzähligen anderen Kliniken der Stadt sehen so aus wie bei uns.
Nette Ecke.
 
Stadtpaläste, die leider wohl nicht mehr zu retten sind.
Hier gibt es noch das gute alte Stundenhotel.
Villa Grimaldi. Rosengarten, mit je einer Rosenpflanze pro Toten.
"Casa Chile", in dem fensterlosen Verhau waren auf 1 m²  Fläche 5 Leute eingesperrt.
Endstation Turm. Wer hier hineingesperrt wurde, wusste, dass er sterben würde.
El Teniente: Meterlanger Gipskristall.
Brecherhalle. Vom Brecher selbst habe ich dummerweise nur ein Video gemacht.
Bergarbeiteressen, Vicunja mit Kartoffeln. (Da ist Freiburger Mensaessen deutlich schmackhafter.)
Sewell, Typische Stadtansicht. Die Stadt hatte mal 501 nummerierte Häuser. Jetzt gibt es noch paarnvierzig.
Dieser Hang war mal voll mit Häusern, die sich der Berg aber durch Erosion zurückgeholt hat. Das Schwarze oben war die Endstation der Eisenbahn auf der Höhe des alten Minenzugangs. Heute liegt der Mineneingang 400 Meter weiter tiefer, unterhalb der Stadt.
Blick von Sewell auf den Berg, der ein alter Vulkan ist, dessen Schlot mit Magma gefüllt ist. Rings um den Schlot gibt es das kupferhaltige Gestein.

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